In einem telefonischen Interview während der Corona-Besuchssperre haben uns Edwin Becker (80) und seine Ehefrau Johanna Becker (80) von ihren Erfahrungen mit der Tagespflege im Seniorenzentrum St. Franziskus berichtet. Herr Becker nutzt unsere Tagespflege seit ihrer Eröffnung (zum Zeitpunkt des Interviews 2 Jahre) und nimmt sie 1 Mal in der Woche in Anspruch.
Redaktion: Guten Tag Frau Becker, guten Tag Herr Becker. Unser Gespräch findet heute unter ungewöhnlichen Umständen statt. Wir stehen am Anfang einer zweiten Coronawelle und unterhalten uns deswegen per Telefon über Ihre Erfahrungen mit der Tagespflege im Seniorenzentrum St. Franziskus in Selters. Was war denn der ausschlaggebende Grund, dass Sie sich für die Tagespflege in St. Franziskus entschieden haben?
Frau Becker: Es wurde mir langsam zu viel. Ich habe zwar den Pflegedienst, aber man braucht auch mal einen Tag, an dem man ganz für sich selbst da sein kann.
Redaktion: Der ambulante Pflegedienst kommt täglich zu Ihnen?
Frau Becker: Ja, morgens und abends.
Redaktion: Ein ambulanter Pflegedienst kümmert sich ja vorwiegend um die Pflege. In der Tagespflege steht dagegen auch die Beschäftigung mit im Vordergrund. Kommt das bei der Pflege zuhause zu kurz?
Frau Becker: Schon. Aber mein Mann hat zwei Mal in der Woche Krankengymnastik. Montags ist Logopädie und mittwochs Ergotherapie. Das ist natürlich auch Beschäftigung.
Redaktion: Das klingt aber eher nach richtiger Arbeit und scheint weniger eine unterhaltende oder entspannende Wirkung zu haben, geschweige denn sonderlich gesellig zu sein, nicht wahr?
Frau Becker: Das ist richtig!
Redaktion: Kam die Pflegebedürftigkeit überraschend oder war das ein schleichender Prozess?
Frau Becker: Mein Mann hatte einen Herzstillstand. Schon 2004 hatte er vier Bypässe und dann kam auch noch ein Herzschrittmacher. Der Herzschrittmacher hat auch einen Defibrillator, wegen des Vorhofflimmerns. Zuletzt kam jetzt auch noch Parkinson dazu.
Redaktion: Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert?
Frau Becker: Ich muss rund um die Uhr für ihn da sein. Die Mobilität meines Mannes ist sehr eingeschränkt.
Herr Becker: Ich war früher viel unterwegs. 30 Jahre war ich bei einer Firma als Berufskraftfahrer. Jetzt fällt mir das Laufen sehr schwer.
Redaktion: Hatten Sie überhaupt die Möglichkeit Ihren Ruhestand zu genießen oder haben Sie die Krankheiten schnell eingeholt?
Herr Becker: Ach, ich habe immer viel mit Holz gearbeitet und für uns und meine Kinder zum Beispiel Gartenmöbel gebaut.
Frau Becker: Ja und 2014 kam das dann recht überraschend. Die Nachbarn haben das auch bemerkt und fragten, was mit Edwin los sei? Dann kam der Tag, an dem hatte er drei Mal hintereinander einen Herzstillstand. Zuhause, im Rettungswagen und noch einmal im Krankenhaus. 2016 war er seitdem zum letzten Mal im Krankenhaus. Toi, toi, toi!
Redaktion: Man kommt also nach solch einem Erlebnis aus dem Krankenhaus und ist plötzlich in vielerlei Hinsicht eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen. In ähnlichen Situationen berichten Menschen oft, dass sie in eine Depression fallen. Wie sah Ihr Leben nach der Zeit im Krankenhaus und vor der Nutzung der Tagespflege aus?
Herr Becker: Mir ging das genauso. Ich wollte meiner Frau ja auch nicht alles nehmen und sie dazu verdammen, dauernd an meiner Bettkante zu sitzen. Sie sollte auch mal einen Tag für sich haben, an dem sie tun und lassen kann, was sie will.
Frau Becker: Ja, ich gehe gerne schwimmen. Alle 14 Tage gehe ich in die Therme nach Bad Ems.
Redaktion: Konnte die Tagespflege etwas an Ihrer Situation verbessern?
Herr Becker: Ja. Man ist unter Leuten. Das ist sehr gut. Wir sind auch manchmal ein wenig sportlich mit dem Ball aktiv und gebastelt haben wir auch schon zusammen. Da wird man ein bisschen in Bewegung versetzt. Nach so einem Tag fühlt man sich dann auch ausgelasteter, weil man aktiv war und gemacht hat, was ging.
Redaktion: Was hat die Tagespflege für Sie verändert, Frau Becker?
Frau Becker: Ich kann wieder in aller Ruhe 14-tägig nach Bad Ems fahren und schwimmen gehen. Da treffe ich mich mit meiner Freundin. Die anderen Donnerstage nutze ich zum Einkaufen. Da ist man halt auch mal länger weg. Die Donnerstage muss ich immer sinnvoll nutzen. Ich kann meinen Mann natürlich auch kurz mal alleine lassen. Da sag ich nebenan meiner Enkeltochter Bescheid und dann geht das. Aber die ist ja auch berufstätig und hat ein kleines Kind. Wie das halt so ist.
Redaktion: Ach, dann sind Sie ja sogar schon Uroma?
Frau Becker: Jaja. Sogar schon mehrfach.
Redaktion: Sie nutzen die Tagespflege in St. Franziskus schon seit ihrer Eröffnung. Anfang 2020 mussten wir die Tagespflege schließen wegen Corona. Wie war das für Sie in dieser Zeit?
Frau Becker: Wir haben das so hingenommen. Was kann man da auch machen? Aber wir haben täglich darauf gewartet, dass die Tagespflege wieder öffnet. Schwimmen konnte ich zu der Zeit sowieso nicht. Ich habe ein halbes Jahr mit allem ausgesetzt.
Herr Becker: Mir hat die Abwechslung auch gefehlt. Die ganzen Leute, mit denen ich normalerweise hier reden kann, habe ich zu der Zeit nicht gesehen. Die Geselligkeit hat mir gefehlt. Ich mache auch gerne die ganzen anderen Sachen, die hier angeboten werden. Da bin ich immer direkt mit dabei.
Frau Becker: Ja, das macht er immer alles mit. Im Grunde genommen ist mein Mann ja doch ganz pflegeleicht. (lacht)
Redaktion: Herr Becker, Sie waren im August 2018 sogar der erste Tagespflegegast überhaupt in St. Franziskus, richtig?
Herr Becker: Ja, das ist richtig.
Frau Becker: Ja, wir haben uns das damals direkt bei der Eröffnung angeschaut.
Herr Becker: Wir hatten die Werbung gesehen und man hat uns dann die Tagespflege empfohlen. Ich habe mich dann auch direkt geborgen gefühlt, als ich hierher kam und mich schnell eingelebt.
Frau Becker: Kurze Zeit war er auch mal in der Kurzzeitpflege. Mein Mann musste ins Krankenhaus wegen seiner Parkinsonerkrankung. In der Zeit ging ich für drei Wochen in Kur. Das war das erste Mal in fünf Jahren, dass ich komplett aus dem Pflegealltag raus war. Mein Mann kam fünf Tage früher als ich wieder zurück. Da hat er die Tage in der Kurzzeitpflege verbracht.
Redaktion: Funktioniert das Gespann mit der ambulanten Pflege zuhause und der Tagespflege an einem Tag in der Woche gut für Sie?
Herr Becker: Ja.
Frau Becker: Ja.
Redaktion: Ist der eine Tag in der Woche für Sie so optimal oder würden Sie sogar noch mehr Tage in der Woche in der Tagespflege in Betracht ziehen?
Frau Becker: (zu ihrem Mann) Die Frage geht auf jeden Fall an Dich!
Herr Becker: Ja. Momentan lassen wir es noch bei einem Tag. Wenn ich mehr Unterstützung brauche, lasse ich es gar nicht so weit kommen und sehe zu, dass ich auch noch einen zweiten Tag in der Woche nehme.
Redaktion: Wie wäre das für Sie beide, wenn die Tagespflege wegen einer zweiten Coronawelle noch einmal geschlossen würde? Als Außenstehender kann man sich das ja schlecht vorstellen.
Frau Becker: Man ist dann eben 24 Stunden in Bereitschaft. Wenn mein Mann „Hanna“ ruft, stehe ich schon im Bett, so einen leichten Schlaf habe ich inzwischen. Manchmal ist man da schon am Ende.
Redaktion: Wie oft kommt man an den Punkt, dass man sich so fühlt?
Frau Becker: Wenn es einem selbst nicht gut geht, dann passiert das. Ich habe eine Entzündung im Bein, die sich immer wieder bemerkbar macht. Wenn das zuschlägt, muss ich ins Bett und es dauert dann auch eine Weile, bis ich wieder stehen kann.
Redaktion: Wie lange dauert so etwas?
Frau Becker: Acht Tage ungefähr. Sowas dauert schon länger.
Redaktion: Wie versorgen Sie in dieser Zeit Ihren Mann?
Frau Becker: Man muss halt! Die Kinder sagen immer zu mir „Mama, sag Bescheid!“, aber solange es irgendwie geht, macht man das halt selbst.
Redaktion: Sie kämpfen sich also da durch?
Frau Becker: Ganz genau!
Redaktion: Mit drei Kindern sind Sie ja familiär ganz gut aufgefangen, nicht wahr?
Frau Becker: Ja. Meine Schwiegertochter sagt mir auch immer, dass ich mich melden soll, wenn ich etwas brauche. Die arbeitet in Wirges und schimpft immer mit mir, wenn ich sie nicht in Anspruch nehme. (lacht)
Redaktion: Viele Menschen können mit der Tagespflege auch der Einsamkeit zuhause entfliehen. Das betrifft grade alleinstehende ältere Menschen, die keine Verwandtschaft in der näheren Umgebung haben. Mit einer so großen Familie im näheren Umfeld war das aber sicher für Sie kein Beweggrund.
Frau Becker: Nein. Aber während des Lockdowns sind die Kinder auch nur bis an die Haustür gekommen. Im März hatten wir es grade noch so geschafft, zusammen unseren 80ten zu feiern. Mein Mann hat im Januar Geburtstag und ich im März.
Redaktion: Tagespflegeangebote sind für viele noch etwas Neues. Jeder kennt die ambulante Pflege und jeder weiß, was ein Seniorenzentrum ist. Die Tagespflege ist da noch eher unbekannt. Sie beide wissen jetzt genau, wovon Sie reden. Würden Sie anderen Menschen die Tagespflege empfehlen?
Frau Becker: Auf jeden Fall!
Herr Becker: Ja, auf jeden Fall!
Frau Becker: Ich muss schon sagen, dass mein Mann sehr gerne hierher geht und für mich ist das auch an einem Tag in der Woche eine große Entlastung.
Redaktion: Können Sie an dem Tag Kraft tanken?
Frau Becker: Ja. Also heute habe ich sogar mal wirklich den ganzen Tag nichts getan. (lacht) Nur das Nötigste zuhause.
Redaktion: Gibt es noch Verbesserungsbedarf an der Tagespflege oder haben Sie noch Wünsche?
Herr Becker: Nein. Ich finde das in dem Stil gut, wie es ist. Es ist sehr zu empfehlen.
Redaktion: Wie ist das bei Ihnen, Frau Becker?
Frau Becker: Och ja. An manchen Tagen wünscht man sich schon, man hätte noch eine Stunde länger Zeit, aber die Damen hier wollen ja auch mal irgendwann Feierabend machen.
Redaktion: Haben Sie denn auch Bekannte und Verwandte in Ihrem Alter, denen Sie die Tagespflege empfehlen würden oder die einen Tag hier gut gebrauchen könnten?
Frau Becker: Ja! Mehr als genug! Aber die wollen ja alle noch nicht alt sein? (lacht) Die wollen alt werden, aber nicht alt sein! Einigen würde das gut tun, aber da wollen die nicht hin.
Redaktion: Was hält sie denn davon ab?
Frau Becker: Der Stolz. Auf jeden Fall! Die würden mich sogar auslachen, wenn ich denen das erzählen würde. Garantiert! (lacht)
Redaktion: Wissen die denn, dass die therapeutischen Aktivitäten, die man in der Tagespflege macht, helfen sollen, dass man länger fit bleibt und dadurch auch länger zuhause wohnen bleiben kann?
Herr Becker: Da machen die sich keine Gedanken drum.
Frau Becker: Ich denke, dass die das nicht sehen. Die sehen nur viele alte Leute und dann wollen die da nicht hin. Obwohl einige sehr gerne zum Seniorentreff gehen.
Redaktion: Für Sie selbst wäre es aber kein Problem, auch in die Tagespflege zu kommen, wenn Sie sie irgendwann brauchen?
Frau Becker: Ich würde das machen. Die Damen hier sind ja auch immer ganz lieb.
Herr Becker: Ja! Und sehr hilfsbereit! Die erkennen jeden Schmerz direkt und kümmern sich um uns. Ich bin schon froh hier.
Redaktion: Frau Becker, Herr Becker, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und die Einblicke in Ihre Erfahrungen mit der Tagespflege im Seniorenzentrum St. Franziskus.
Das Interview führte unser Mitarbeiter Michael Roesler am 22.10.20.
Abbildung: Edwin Becker mit seiner Frau Johanna und der Leiterin der Tagespflege, Simone Pesau, auf der Terrasse der Tagespflege im Seniorenzentrum St. Franziskus.